Hören wir "Unter den Linden" sehen wir vor uns die Prachtstraße, die vom Brandenburger Tor zum Alexanderplatz führt. Einstmals war dieser Reiterweg angelegt worden, um das Stadtschloss mit dem Tiergarten, dem Königlichen Jagdrevier, zu verbinden. Prächtige Bauten säumen heute die pulsierende Verkehrsader mitten in der Stadt: die alte Wache, das Kronprinzenpalais, der Dom, die Staatsoper, die Humboldtuniversität, um nur einige zu nennen.
Am Anfang Iko der Große und am Ende Friedrich der Große |
Im Brauchtum ist das Anpflanzen von Friedenslinden bekannt. Nach vielen Kriegen wurden größere Anpflanzungen vorgenommen. Da der Berliner Boulevard nach dem 30jährigen Krieg angelegt wurde, ist wohl anzunehmen, dass die 1000 um 1647 gepflanzten Linden als Friedensbäume gelten sollten.
Es ist also ein bedeutungsträchtiger Baum, diese Linde. Seitdem ich in einem Stadtviertel wohne, in dem viele Linden als Straßenbäume gepflanzt wurden, hat sich mein Blick auf dieses Gewächs etwas getrübt. Nach dem abendlichen Spaziergang ist meine Brille mit winzigen, hart gewordenen Sprenkeln bedeckt, die den Ausblick verschwimmen lassen. Die Sprenkel, die sich nur unter fließendem Wasser abwaschen lassen, stammen vom Honigtau, der in diesen Sommertagen im Übermaß von den Linden herabtropft. Ein lieblicher Name für eine klebrige Substanz, die bei Lichte betrachtet aus den Fäkalien von Blattläusen besteht. Wie viele dieser Plagegeister müssen auf den Bäumen zu Hause sein, um über Wochen das stetige Tropfen zu verursachen? Die Bürgersteige sind so vollgelaufen, dass die Schuhsohlen am Pflaster festkleben. Bei Nacht wundert man sich über laut schmatzende Geräusche auf den Straßen. Es sind junge Leute, die mit ihren Sneaker Gummisohlen besonders gut festkleben und mit jedem Schritt ihre Schuhe der Klebemasse entreißen müssen.
Manch Autofahrer hat ganz sicher Linden-Mordvisionen, denn die Klebe entwickelt phänomenale Haltekräfte auf dem Autolack. Besonders die Mischung von Staub, Pollen und Klebe ergibt eine feste Spachtelmasse, die nur mit der teuersten Autowäsche mit Vorwaschgang zu beseitigen ist. Die Rezeptur dieser Masse sollte man sich für Fälle zu eigen machen, in denen Materialien nicht dort bleiben, wo sie hingehören. Da Parkplätze in der Stadt ohnehin Mangelware sind, ist es der reine Luxus, einen Parkplatz zu finden, der nicht von einem Baum überdacht wird. Man ist also der bösen Seite des Baumes ausgeliefert. Diese hat schon in frühester deutscher Geschichte Unheil gebracht: war es nicht ein klebriges Lindenblatt, dass den unbesiegbaren Siegfried zu Fall brachte?
Trösten wir uns also in den nächsten Wochen mit der Tatsache, dass viele Insekten (eben nicht Läuse, die ihn ausscheiden!) den süßen Saft lieben und die Bienen einen besonders leckeren Honig daraus machen.