Mittwoch, 16. November 2022

60 Jahre Sportverweigerung- und dann kam Pickleball




In unserer Familie spielte Sport keine Rolle. Meine älteren Schwestern waren ebenso unsportlich wie meine Eltern. Das Sportinteresse meines Vaters hörte beim Fußballschauen auf der Couch auf. Meistens durch seliges Einschlummern.

Meine früheste Sporterfahrung im Grundschulalter war das orthopädische Turnen, das mir verordnet wurde. Ein qualvoller Drill an der Turnleiter, soweit ich mich erinnere.

Einzig gelegentliches Federballspielen im Garten bereitete mir etwas Freude an Bewegung.

Der Sportunterricht in der Schule war mir eine Qual: alle schienen gelenkiger und flinker als ich zu sein. Ich lernte schnell allerlei Ausreden zu finden, um nicht bei den Spielen und Übungen mitmachen zu müssen.

Das wurde mit einem Schlag erleichtert, als ich endlich meine Mensis bekam. Das war damals ein offizieller Grund nicht am Sportunterricht teilnehmen zu müssen. Die Mädchen hatten ein kleines Oktavheft, in dem die Mutter mit Datum und Unterschrift das Ereignis bestätigte. Die Unterschrift konnte ich mir manches Mal von meiner verschlafenen Mutter des Frühs erschleichen, manches Mal wurde sie schlicht gefälscht. Die Sportlehrerin wurde misstrauisch, denn der Zyklus war verdächtig kurz. Sie drohte mir sogar an, mir die Unterhose herunterzuziehen, um zu prüfen, ob Tante Rosa wirklich zu Besuch war!

Nach der Schule verschwand der Sport ohne Spuren zu hinterlassen aus meinem Leben. Später heiratete ich einen sportlichen Mann, bekam sportliche Kinder und sah allen begeistert beim Basketballspielen, Footbal spielen, Rudern etc. zu. Niemals wäre ich auf die Idee gekommen, mich meiner Familie anzuschließen und mich auf ein Spielfeld, in ein Boot oder an ein Sportgerät zu bewegen.

Mit zunehmendem Alter stellten sich gesundheitliche Probleme ein, die man mit Fug und Recht mit zu wenig Bewegung und zu gutem Essen in Verbindung bringen durfte. Sport war aber auch hier keine Lösung für mich. Ich aß weniger und ging regelmäßig mit unserem Hund spazieren. Das führte zum gewünschten Ergebnis und dem mittlerweile zweiten „Therapiehund“.

Während ich an der Seite unseres Hundes immer fitter wurde, beginnt dieser nun mit stolzen zehn Jahren langsamer zu werden. Er schafft zwar noch das gewünschte Kilometerpensum, aber es dauert Stunden und das langsame Stop and Go ist zwar mental anstrengend, aber nicht körperlich fordernd.

Im Sommer kam unsere Cousine aus den USA zu Besuch. Sie ist seit Jahrzehnten begeisterte Tennisspielerin und hat schon 7 Knieoperationen hinter sich. Ich wusste es immer: Sport ist Mord!!!

Ich berichtete ihr von meinem Wunsch mich körperlich doch mehr zu betätigen, um die fehlenden Hundegänge auszugleichen. Und dass der einzige Sport, der mir jemals einen Funken Freude bereitet hatte, das Federballspielen mit der Mutter im Garten war.

                    Dann musst Du Pickleball spielen!!!

Davon hatte ich im Leben noch nie gehört! Ich erkundigte mich im Internet und fand, dass das Spiel ganz interessant aussieht. Es fand sich ein Verein in Spandau, der Pickleball anbietet und tatsächlich machte ich mich auf die lange Fahrt dorthin.

Die nette Trainingsleiterin drückte mir einen überdimensionierten Tischtennisschläger und einen sonderbar durchlöcherten Kunststoffball in die Hand (warum eigentlich Pickleball, wenn der Ball wie ein Schweizer Käse aussieht?), wies mir einen kleinen Jungen als Spielpartner zu und erklärte, der Ball muss übers Netz und einmal auf ticken, bevor man ihn zurückspielt.

Das klang nicht nur einfach sondern war es auch und der kleine Lausbub machte sich schnell einen Spaß daraus „Jag´ die Oma“ zu spielen. Aber Oma lernte schnell und hatte großen Spaß am Spiel. 

Ich war infiziert! Hier war der Sport, der für mich gemacht war: schnell zu lernen, schnelle Erfolgserlebnisse, nicht zu anstrengend und dennoch körperlich fordernd..

Schon nach dem ersten Training war mir klar: Das ist Liebe auf den ersten Blick! 

Inzwischen sind auch zwei Nachbarinnen, denen ich begeistert von meiner Entdeckung berichtet hatte, wie man so schön neudeutsch sagt, „angefixt“. Wir haben mit viel Engagement einen Verein in Wohnortnähe gefunden, bei dem wir eine Pickleball Abteilung gründen konnten und sehen nun einer gelb gelöcherten strahlenden Zukunft entgegen. Meine Kinder sind immer noch ungläubig, dass in unserem Flur nun eine Sporttasche steht und ihre Mutter Hallensport macht. 





Liebe Berliner, da geht noch was! Macht mit bei diesem in Deutschland neuem Sport und lasst Euch überzeugen: Pickleball ist DER Sport für Jung und Alt. Neugierig? Ihr findet uns auf Facebook und Instagram unter BTV Olympia Pickleball!



Freitag, 8. Juli 2022

Mit 9€ ins Bahn-Abenteuer

Selbsttest ahoi!

Mein 9€ Abenteurer hat begonnen. Als Testrecke habe ich mir Berlin-Hannover/ Langenhagen ausgesucht, eine Fahrt die ich seit vielen Jahren mehrmals jährlich mit dem Auto zurücklege, um Freunde in meiner alten Heimat zu besuchen. Ich will ergründen, wann sich das günstige Ticket lohnt, ob entferntere Ziele in vertretbarer Zeit zu erreichen und wie verbindlich die Anschlüsse sind. Dass eine Fahrt mit dem 9€ Ticket zu touristischen Zielen und oder am Wochenende eher quälend als erholsam ist, hat sich herumgesprochen. Dass Berufspendler und regelmäßige Öffi-Nutzer damit sparen können ist auch klar.

Um kurz vor 7 Uhr stehe ich also nach 12 Minuten Fahrt mit der Tram auf dem Bahnsteig am Alexanderplatz, der noch im Halbschlaf eine ungewöhnliche Stille aufweist, und warte auf den Regionalzug, der mich nach Magdeburg bringen soll. Habe ich wirklich diese frühe Verbindung ausgesucht? Nicht ahnend wie müde man sein kann, wenn man um 5.30 Uhr aufstehen muss, habe ich die frühe Abfahrtzeit tatsächlich ausgewählt, um auch bei Verspätungen, Zugausfällen oder anderen Imponderabilitäten noch genügend Zeit am Zielort und mit meinen Freunden verbringen zu können.


Der Zug rollt pünktlich ein und die inzwischen angekommenen Fahrgäste bevölkern die Sitze. Es sind genug Plätze für alle da, niemand muss stehen. Es bleiben Sitzplätze leer. Moment mal, das können aber keine Berliner sein, die sich hier niederlassen: jeder trägt eine Maske! Und dann noch über der Nase!! Oder haben die Berliner etwa mehr Ehrfrucht vor der Deutschen Bahn als vor der BVG?

 Nun zuckelt die Bahn gemächlich durch Berlin und hält allein in der Stadt an 4 Haltestellen. Danach nimmt der Zug Fahrt auf und wir fahren über Potsdam (wo sich die Anzahl der Fahrgäste drastisch vermindert) durch Brandenburg. Viel Landschaft, wenig Siedlungen. Wie in den Boden gesteckte riesige Streichhölzer stehen die Kiefern in Reih und Glied und sehen dabei nicht gerade eben gesund aus. Waldstücke wechseln sich mit großen Brachen und einigen Agrarflächen ab, auf denen ich einen Fuchs zielstrebig in eine Richtung laufen sehe, in der ich später zwei Kraniche entdecke.


Gelegentlich ist in der Ferne eine verfallene landwirtschaftliche Produktionsanlage oder ein verlassener Bauernhof zu sehen. Wir halten in Ortschaften, die gar keine zu sein scheinen, denn neben dem oft verfallenen Bahnhofsgebäude scheint es gar keine Ansiedlung zu geben. Allein die Namen dieser verschwiegenen Orte müssten Fans der deutschen Sprache, die gern die Herkunft von Ortsnamen erforschen, herausfordern: Wusterwitz, Kirchmöser, Niederndodeleben, Schandelah und Ovelgünne, um nur einige zu nennen. Urbex Freaks müssen hier Feste feiern, so viel Abgerocktes, Verfallenes und Verlassenes ist hier zu finden. Ein paar Graffiti und Kritzeleien weisen darauf hin, dass die Freunde des Verfalls schon Fährte aufgenommen haben.


Mir wird langsam klar, warum sich die Menschen in den ländlichen, östlichen Gebieten abgehängt und nicht mitgenommen fühlen. Die schöne neue Welt der Investoren, der Konsumtempel, des Wiederherrichtens alter Bausubstanz oder gar des modernen Bauens ist hier ebenso wenig

angekommen, wie ein flächendeckendes Internet und Mobilnetz. An einer Haltestelle müssen die Fahrgäste gar über den Schotter am Schienenrand, durch eine Senke über 2 wie selbstgezimmerte Stufen zur nächsten Straße krauchen. Entwürdigend, anders kann ich diesen Service am Bahnkunden nicht empfinden.

Nach 1 ¾ Stunden fahren wir in Magdeburg ein. Offensichtlich ein geschäftiger Umsteigeplatz. Der Bahnhof wird gerade renoviert. Pünktliche Ankunft und pünktliche Abfahrt des Anschlusszuges nach Braunschweig. Geht doch, liebe Bahn! Ich bin beeindruckt.

Auch auf meiner zweiten Strecke ist der Zug nicht ausgelastet, freie Sitzplätze sind verfügbar. (Übrigens haben alle Züge ein Fahrradabteil, dass jeweils gähnend leer war)

Wir haben inzwischen 2 Landesgrenzen unbemerkt überfahren, sind von Berlin über Brandenburg und Sachsen-Anhalt in Richtung Niedersachsen unterwegs. Die Landschaft wechselt. Es wird grüner und die Kiefernwälder werden von Mischwäldern abgelöst. Alles deutet darauf hin, dass es hier mehr Regen gibt als in Berlin-Brandenburg.

Nach etwas mehr als einer Stunde in Braunschweig angekommen bildet sich auf dem Bahnsteig eine lange Schlange. Es gibt nur eine schmale Treppe für Ankommende und Abreisende. Es entsteht ein ziemliches Geschiebe. Alle sind erstaunlich geduldig.

Pünktlich fährt der Zug nach Hannover in Braunschweig ab und erreicht die Landeshauptstadt ebenso pünktlich. Ist diese unerwartete Pünktlichkeit ein Phänomen der Regionalbahnen?

Leider ist ab Hannover Schluss mit lustig und mit pünktlich. Die S-Bahn nach Langenhagen (regulär eine Fahrt von 10 Minuten) fährt mit 36 Minuten Verspätung ab und ist hoffnungslos überfüllt.

Am Ende habe ich von Haustür zu Haustür gut 6,5 Stunden gebraucht. Bis zum Antritt des Rückweges am nächsten Tag um 13.30 Uhr habe ich also etwa 24h Zeit für einen schönen Besuch und einen erholsamen Schlaf.

Die Rückfahrt verläuft ähnlich wie die Hinfahrt: bis Hannover fallen S-Bahnen aus oder sind verspätet, aber ich habe schon gelernt anstatt der S-Bahn den Regionalzug zu nehmen. Ab Hannover läuft wieder alles reibungslos. In Braunschweig gibt es wegen eines Polizeieinsatzes eine verspätete Abfahrt, die aber unterwegs wieder eingeholt wird. Aus den beruhigenden Worten des Zugführers lässt sich schließen, dass ein renitenter Fahrgast von den Ordnungshütern fortgebracht werden musste.

 Mein Fazit?

Für Fahrten in die nähere Umgebung außerhalb von Stoßzeiten und für längere Fahrten, wenn man viel Zeit und Geduld und keine Terminvorgaben hat, lässt sich das 9€ Ticket gut einsetzen. Ich fand die Fahrt angenehm, habe die Reise durch den wilden Osten interessiert in mich aufgenommen. Eine angenehme Entschleunigung. Die Züge waren allesamt sauber, mit gepflegten und bequemen Polstersitzen. Die Fahrgäste durchweg angenehm. Pünktlichkeit war generell gegeben und alle Fahrten waren in keinster Weise mit den visuellen, olfaktorischen und auditiven Erscheinungen zu vergleichen, die einem so manches Mal in Berliner U- oder S-Bahnen die Sinne zu rauben drohen. Ihr wisst schon, was ich meine!

Für mich ist klar: nächster Versuch Hamburg!

 

Berlin-Hannover

Fahrtzeit von Haustür zu Haustür

Kosten

Auto

(292km, Diesel, Verbrauch 6,5l/100km)                   3,5-4 Stunden

40 €*

Deutsche Bahn, schnelle Verbindung

Tram 18 Min.; ICE 1 Std 55 Min; S-Bahn 10 Min gesamt    2 Stunden 23 Min

57,90 €*

Nahverkehr

ohne Tram zweimal Umsteigen und etwa 1 Stunde Aufenthalte         6 Stunden und 30 Minuten

9 €

 

*die Fahrpreise sind natürlich nur beispielhaft und variieren tagesabhängig, mit Spartarifen und Spritpreisen etc.

Montag, 3. Januar 2022

Zirkus, oh Zirkus

Vor einigen Tagen war ich mit meiner Enkelin im Roncalli Winterzirkus. Schon immer war ich von Roncalli begeistert und kann mich noch an die Anfangsjahre erinnern. Nun ist meine Enkelin Fan geworden und der Besuch des Weihnachtszirkusses eine Familientradition.

Begeistert haben wir die atemberaubenden Stunts und akrobatischen Leistungen mit glänzenden Augen bestaunt und mit frenetischem Beifall belohnt. Hübsche Menschen in farbenfrohen und phantasievollen Kostümen, sportliche Höchstleistungen, eine fröhliche Atmosphäre, gut gelaunte Zuschauer und bunte Weihnachtsdekorationen. Ein Highlight zum Jahresende.

Nachdem wir Zuhause begeistert berichtet und unsere Fotos betrachtet hatten, kam dann plötzlich die Frage auf: war das eigentlich Zirkus? Artisten, Akrobatik,Musik und Gesang, Clownerie, Show- aber keine Tiere!

Ja, keine Sorge: ich finde es richtig, dass Tieren qualvolle Dressuren und unnätürliche Haltungsbedingungen nicht mehr ertragen müssen. Mein Verstand sagt mir, dass das Tierwohl den Verzicht auf Tiere im Zirkus gebietet.


Aber mein Herz blüht auf, wenn ich an die Zirkusbesuche in meiner Kindheit denke und wie aufregend es war, wenn ein Zirkus in die Stadt kam. Wir wohnten in der Nähe des Güterbahnhofes und kamen schon in den Genuss des Zirkusses bevor das Gastspiel begann. Nicht nur wurden die bunten Zirkuswagen verladen und fuhren durch die Straßen. Nein, auch die Tiere kamen per Güterzug an und wurden dann direkt an unserem Haus vorbei zum Schützenplatz geführt, auf dem bereits emsig das bunte, riesige Zurkuszelt aufgebaut wurde. So zog also eine Karawane von Pferden, Kamelen, Tigern und Löwen in Käfigwagen und sogar Elefanten an unserem Gartenzaun vorbei. Für uns Kinder ein echtes Abenteuer. Später konnte man dann die "Tierschau" für eine Mark besuchen und all die wunderbaren Tier von Nahem sehen.

Getoppt werden konnte dieses Großereignis nur, wenn dann auch noch Tiere ausrissen. So kann ich mich erinnern, dass eines Tages, als die Karawane sich auf unser Haus zubewegte, die Kamele irgendwie erschreckt wurden und eine Stampede entstand. Wie wild geworden rasten die Tiere die Straße hinunter und eine Nachbarin, die aus ihrem nach außen zu öffnenden Fenster blickte, wurde verletzt als ein Kamel so dicht an Haus entlang raste, dass es gegen den Fensterflügel stieß und dieser der Nachbarin ins Gesicht schlug. Ein anderes Mal wurde ein Elefant aggressiv, befreite sich von den Fesseln und tobte durch die Straßen, bevor er sich abregte und wieder eingefangen werden konnte. Das waren Abenteuer der Höchstklasse in meiner Kindheit. 

Und dann die Zirkusvorstellung selbst. Auf die noch nicht von zig Fernsehkanälen und digitalen Medien verdorbenen Kinderaugen wirkten die Tierdressuren, insbesondere die der Raubkatzen, wie eine Abenteuerreise in ferne Länder. Pure Magie, wenn der Dompteur die fauchenden und mit den Pfoten schlagenden Großkatzen "bezwang" und ihnen seinen Willen aufnötigte. Kein Gedanke daran, wie sich die Tiere fühlen mögen, minderte den Nervenkitzel. Und dann legt der Dompteur auch noch seinen Kopf in das riesige Maul eines Löwen! 

Mit solcher Naivität könnte ich natürlich heute keine Raubtiernummer mehr ansehen. Nach einem Afrikaurlaub sind sogar auch noch so sehr auf artgerechte Haltung ausgerichtete Zoos für mich kaum erträglich. Dieser Zauber aus der Kindheit wird also nur Erinnerung bleiben. Wildtiere im Zirkus sind auch für mich ein no-go.

Und dennoch fehlen mir im Zirkus heute die Tiere. Eine Pferdedressur, ohne gelenkbelastende und gefährliche Kunststücke, einfach nur mit Federdekoration und phantasievollem Zaumzeug, geführt von hübsch kostümierten Artisten. Oder eine Hundedressur! Millionen Menschen scheuchen ihre Fellnasen tagtäglich durch Agilty Parcoure, da muss doch auch eine Zirkusnummer erlaubt sein? Bestimmt ließe sich etwas finden, dass auch im Zirkus mit artgerechter Haltung und dem Tierwohl vereinbar wäre.

Ich liebe den Zirkus Roncalli, ich achte die Entscheidung auf Tierdressuren zu verzichten.

                                Aber ich vermisse Tiere im Zirkus, sie gehören einfach dazu.