Mittwoch, 18. Oktober 2017

Lost Places- Die FDJ-Kaderschmiede der DDR

Neulich habe ich über das Landhaus der Familie Goebbels berichtet. Mein heutiger Post nimmt den Faden wieder auf und führt in die jüngere Vergangenheit nach dem Krieg.

Das Anwesen der Goebbels wurde nach dem Krieg zunächst von den Alliierten als Lazarett genutzt und wurde 1946 von den Sowjets an die DDR Regierung zur Nutzung übergeben. Fortan wurde die Villa mit den Nebengebäuden als Ausbildungsstätte für die Freie Deutsche Jugend genutzt.

Zu Beginn der 50er Jahre wurde für das Areal ein neues groß angelegtes Ausbildungszentrum geplant und von den Sowjets maßgeblich finanziert. Im sozialistischen Zuckerbäckerstil wurde eine beinahe schlossartige Anlage errichtet. Mit Sichtachse über eine Parkanlage hinweg stehen sich zwei repräsentative Gebäude gegenüber. Mit Portus, Säulen, Terrasse und Treppenaufgang ist das Lektionsgebäude selbst im verfallenen Zustand noch imposant. Links und rechts davon sind mehrstöckige Internatsgebäude. Man fühlt sich ein wenig an Prachtbauten des 18. und 19. Jahrhunderts erinnert.



Mit der Fertigstellung war die Jugendhochschule Wilhelm Pieck der FDJ war gegründet. 500 Studenten aus allen Teilen Deutschlands, sogar aus Westdeutschland (Kader des Sozialistischen Studentenverbandes und des Spartakusbundes), und später aus sozialistischen "Bruderländern" wurden bis zur Wende hier ausgebildet. Es war ein absolutes Privileg, hier studieren zu dürfen. Die Anlage wurde bewacht und wie ein militärischer Geheimstützpunkt behandelt. Als die Institution noch das Gelände mit Leben füllte, muss man sich schon besonders gefühlt haben, hier dazu zu gehören. Gelehrt wurden die marxistisch-leninistische Philosophie, die ebendiese Politik und die Grundlagen der Weltrevolution. Die Inneneinrichtung war insbesondere für DDR Verhältnisse exklusiv. Im großen Hörsaal konnten die ausländischen Studenten mithilfe der modernsten Simultanübersetzungsanlage den Lehren des wissenschaftlichen Sozialismus lauschen. So modern war die Anlage, dass beim Staatsbesuch des westdeutschen Kanzlers Helmut Schmidt im Jahr 1981 hier die internationale Pressekonferenz abgehalten wurde. Das einzige Mal, dass dieses Heiligtum seine Pforten nach außen geöffnet hat.

Bis zur Wende ging die Jugendhochschule ihrer Bestimmung nach. Anschließend gab es Versuche einer Nachnutzung. Der Internationale Bund für Sozialarbeit mietete das Anwesen an. Nach nur 2 Jahren musste man wegen der hohen Erhaltungs- und Renovierungskosten des zum Teil denkmalgeschützten Ensembles aufgeben. Seitdem verfallen die Bauten und werden lediglich gegen Vandalismus geschützt. Eigentlich ist die Anlage ein Sahnestück und man wundert sich, dass hier noch keine Investoren das Potential erkannt haben. Doch haben sie. etwa 200 Interessenten haben Angebote abgegeben. Aber: zum Gesamtensemble gehört auch das ehemalige Landhaus von Goebbels. Bei einem Verkauf kann höchstens für 10 Jahre eine Nutzungsbindung festgelegt werden. Und da liegt der Hund begraben: kann man sich vor getarnten Nazis schützen, die nach 10 Jahren eine Heldengedenkstätte aus dem Anwesen machen? Nein, nicht wirklich. Und deswegen hat die Stadt Berlin sich entschlossen, das Areal nicht zu verkaufen. Man versucht nun, dass Gelände als Erbpachtgrundstück langfristig zu vermieten. Wir werden sehen!


Montag, 16. Oktober 2017

Lost Places- Das Landhaus der Familie Goebbels am Bogensee

Wenn man durch Berlin geht (oder fährt) begibt man sich automatisch auf eine Reise in die Vergangenheit. Die deutsche Geschichte vom Kaiserreich, über die erste deutsche Republik, die Nazizeit, den Krieg und die geteilte Stadt bis zur Wiedervereinigung hat Spuren hinterlassen, die mehr oder manchmal auch weniger überall aufzuspüren sind. Nicht nur in der Stadt selbst, sondern auch im Umland erinnern Gebäude und Plätze an rühmliche und weniger rühmliche Zeiten. Seien es die UFA Studios in Potsdam, in denen die großen Nazi-Schinken gefilmt wurden, der Teufelsberg mit seinen allierten Ausspäh- und Abhöranlagen, die Villa am Wannsee, in der die Nationalsozialisten die Deportation und Vernichtung aller Juden beschlossen haben, die Gedenkstätte im ehemaligen Stasiuntersuchungsgefängnis in Hohenschönhausen und viele andere denkwürdige Orte. Manche Orte jedoch liegen im Verborgenen. Schamhaft vor der Öffentlichkeit geschützt. Verschwiegen.

Einen solchen Ort habe ich heute aufgesucht: den Landsitz der Familie Goebbels. Die Villa Bogensee. Im Jahr 1936 schenkte die Stadt Berlin dem Reichspropagandaminister den Bogensee, eine Blockhütte  und ein Areal von nahezu 500 Ha im Ostteil des See zu seinem 36. Geburtstag. Der Minister, bekannter Förderer der schönen Künste und Film(sternchen)liebhaber, nutzte wohl dieses abgelegene Häuschen als Liebesnest. Er verlegte seinen Arbeitsplatz immer häufiger in das Blockhaus am See. So schrieb er am 3.November 1936 in sein Tagebuch: "Es ist ganz still und ruhig hier." "Ich arbeite, lese, schreibe, und ich bin glücklich. Rings um mich Wald, welkes Laub, Nebel, Regen. Ein Idyll in der Einsamkeit." Aber auch andere Gedanken nehmen in der Stille Form an. Nur drei Tage später schreibt er: "Diese Judenpest muß ausradiert werden. Davon darf nichts übrig bleiben." Solche Bösartigkeiten rauben ihm aber offensichtlich nicht den Schlaf: "Zeitig ins Bett. Es schläft sich so herrlich hier draußen im Walde."

Heute ist das Blockhaus verfallen und der Dachstuhl 2015 an Christi Himmelfahrt ausgebrannt.

Die Liebeshütte

Bald schon war dem Minister die Hütte zu klein geworden und nicht repräsentativ genug. Bis 1939 ließ er unter der Federführung von Hugo Constantin Bartels (erstaunlicherweise kein Parteigenosse sondern ein Sozialdemokrat) nach einem Entwurf von Heinrich Schweitzer die Villa Bogensee errichten. Sie sollte Treffpunkt für Stars und Künstler werden und wurde entsprechend großzügig angelegt: 30 Privaträume, 40 Diensträume und ein Kinosaal sowie Repräsentationsräumlichkeiten und Wirtschaftsgebäude. Alle Gebäude stehen noch heute verborgen im tiefen Wald am See. Kein Hinweisschild lässt ahnen, welche Geschichte dieser Ort hat. Alle Wege entlang des Sees sind mit umgestürzten Bäumen unpassierbar gemacht. Verbotsschilder halten Eindringlinge vom Ufer fern. Die Gebäude sind dem Verfall preisgegeben und dennoch erstaunlich gut erhalten. Sogar die großen, versenkbaren Terrassenfenster, auf die Goebbels besonders stolz gewesen sein soll, sind noch zu sehen. 

Versenkbare Terrassenfenster
Alle Filmgrößen der damaligen Zeit fanden sich am Bogensee ein. Der Ort wurde zur festen Größe im gesellschaftlichen Leben der Kulturschaffenden. Schon bald avancierte das Anwesen zum Landsitz der Familie Goebbels. Magda zog mit 6 Kindern ein und viele Fotos und Filme zeugen von einem lebhaften, fröhlichen Familienleben im Haus am See. Was die Öffentlichkeit nicht wusste: das Ehepaar lebte schon seit langem getrennt. Nach vielen  Eskapaden und einer ernsthaften Beziehung Goebbels zu der Schauspielerin Lida Baarova wurde vertraglich die Trennung und die Aufrechterhaltung der glücklichen Fassade in der Öffentlichkeit vereinbart. Hitler persönlich hatte den Kompromiss ausgehandelt und den Vertrag neben den Eheleuten unterschrieben! Nach Ausbruch des Krieges näherte sich das Ehepaar wieder an. Aber schon nach wenigen Monaten tröstete sich Goebbels wieder mit anderen Frauen am Bogensee, während seine Frau sich von Geburten und  diversen Erkrankungen erholte. Als der Krieg mit massiven Luftangriffen 1943 auch in Berlin schwere Zerstörungen anrichtete, zog Magda Goebbels mit ihren Kindern endgültig in das Landhaus am Bogensee. Hier lebten sie im Gegensatz zur Stadtbevölkerung geradezu paradiesisch: die Kinder werden morgens im Ponywagen nach Wandlitz in die Schule gebracht und spielen nachmittags mit zahlreichen Haustieren in den Wiesen und am See. Die umliegende Landwirtschaft garantierte einen gedeckten Tisch, von dem die hungernde Bevölkerung nur träumen konnte

. Von der tödlichen Wirklichkeit in der Stadt und an der Front hören und sehen sie nichts. Dennoch wird 1944 nicht weit vom Wohnhaus ein Bunker zum Schutz der Familie und der Bediensteten und Gäste gebaut.







Im Frühjahr 1945 standen die Russen an  der Oder und die Zivilbevölkerung der Ostgebiete flüchtete vor ihnen in Richtung Westen. Auch durch Wandlitz zogen die endlosen Kolonnen der Flüchtlinge. Sie berichteten von den Greueltaten der Russen. Auch die Goebbelskinder schnappten einiges davon auf. Goebbels beschloss daraufhin, den Haushalt in sein Domizil nach Schwanenwerder zu verlegen. Das Landhaus am Bogensee blieb sich selbst überlassen. Wenig später siedelten die Goebbels in den Bunker der Reichskanzlei nach Berlin über, wo sie sich und ihre Kinder umbrachten.

Was aus dem zurück gelassenen Hab und Gut im Haus am See wurde, konnte nie geklärt werden. Man hörte von Plünderungen, aber niemand weiß genaues. Nach dem Krieg wurden die Gebäude zunächst als Lazarett genutzt und im März 1946 der FDJ übergeben. Aber das ist eine andere Geschichte!

Quellen:                                                                                                                         Fotos:
Anja Klabunde "Magda Goebbels"                                                                               Elke Harris
Stefan Berkholz "Das Liebesnest des Dr. Goebbels"
Wikipedia