Wenn man durch Berlin geht (oder fährt) begibt man sich automatisch auf eine Reise in die Vergangenheit. Die deutsche Geschichte vom Kaiserreich, über die erste deutsche Republik, die Nazizeit, den Krieg und die geteilte Stadt bis zur Wiedervereinigung hat Spuren hinterlassen, die mehr oder manchmal auch weniger überall aufzuspüren sind. Nicht nur in der Stadt selbst, sondern auch im Umland erinnern Gebäude und Plätze an rühmliche und weniger rühmliche Zeiten. Seien es die UFA Studios in Potsdam, in denen die großen Nazi-Schinken gefilmt wurden, der Teufelsberg mit seinen allierten Ausspäh- und Abhöranlagen, die Villa am Wannsee, in der die Nationalsozialisten die Deportation und Vernichtung aller Juden beschlossen haben, die Gedenkstätte im ehemaligen Stasiuntersuchungsgefängnis in Hohenschönhausen und viele andere denkwürdige Orte. Manche Orte jedoch liegen im Verborgenen. Schamhaft vor der Öffentlichkeit geschützt. Verschwiegen.
Einen solchen Ort habe ich heute aufgesucht: den Landsitz der Familie Goebbels. Die Villa Bogensee. Im Jahr 1936 schenkte die Stadt Berlin dem Reichspropagandaminister den Bogensee, eine Blockhütte und ein Areal von nahezu 500 Ha im Ostteil des See zu seinem 36. Geburtstag. Der Minister, bekannter Förderer der schönen Künste und Film(sternchen)liebhaber, nutzte wohl dieses abgelegene Häuschen als Liebesnest. Er verlegte seinen Arbeitsplatz immer häufiger in das Blockhaus am See. So schrieb er am 3.November 1936 in sein Tagebuch: "Es ist ganz still und ruhig hier." "Ich arbeite, lese, schreibe, und ich bin glücklich. Rings um mich Wald, welkes Laub, Nebel, Regen. Ein Idyll in der Einsamkeit." Aber auch andere Gedanken nehmen in der Stille Form an. Nur drei Tage später schreibt er: "Diese Judenpest muß ausradiert werden. Davon darf nichts übrig bleiben." Solche Bösartigkeiten rauben ihm aber offensichtlich nicht den Schlaf: "Zeitig ins Bett. Es schläft sich so herrlich hier draußen im Walde."
Heute ist das Blockhaus verfallen und der Dachstuhl 2015 an Christi Himmelfahrt ausgebrannt.
Die Liebeshütte |
Bald
schon war dem Minister die Hütte zu klein geworden und nicht repräsentativ
genug. Bis 1939 ließ er unter der Federführung von Hugo Constantin Bartels
(erstaunlicherweise kein Parteigenosse sondern ein Sozialdemokrat) nach einem
Entwurf von Heinrich Schweitzer die Villa Bogensee errichten. Sie sollte
Treffpunkt für Stars und Künstler werden und wurde entsprechend großzügig
angelegt: 30 Privaträume, 40 Diensträume und ein Kinosaal sowie
Repräsentationsräumlichkeiten und Wirtschaftsgebäude. Alle Gebäude stehen noch
heute verborgen im tiefen Wald am See. Kein Hinweisschild lässt ahnen, welche
Geschichte dieser Ort hat. Alle Wege entlang des Sees sind mit umgestürzten
Bäumen unpassierbar gemacht. Verbotsschilder halten Eindringlinge vom Ufer
fern. Die Gebäude sind dem Verfall preisgegeben und dennoch erstaunlich gut
erhalten. Sogar die großen, versenkbaren Terrassenfenster, auf die Goebbels
besonders stolz gewesen sein soll, sind noch zu sehen.
Versenkbare Terrassenfenster |
Alle Filmgrößen der damaligen Zeit fanden sich am Bogensee ein. Der Ort wurde zur festen Größe im gesellschaftlichen Leben der Kulturschaffenden. Schon bald avancierte das Anwesen zum Landsitz der Familie Goebbels. Magda zog mit 6 Kindern ein und viele Fotos und Filme zeugen von einem lebhaften, fröhlichen Familienleben im Haus am See. Was die Öffentlichkeit nicht wusste: das Ehepaar lebte schon seit langem getrennt. Nach vielen Eskapaden und einer ernsthaften Beziehung Goebbels zu der Schauspielerin Lida Baarova wurde vertraglich die Trennung und die Aufrechterhaltung der glücklichen Fassade in der Öffentlichkeit vereinbart. Hitler persönlich hatte den Kompromiss ausgehandelt und den Vertrag neben den Eheleuten unterschrieben! Nach Ausbruch des Krieges näherte sich das Ehepaar wieder an. Aber schon nach wenigen Monaten tröstete sich Goebbels wieder mit anderen Frauen am Bogensee, während seine Frau sich von Geburten und diversen Erkrankungen erholte. Als der Krieg mit massiven Luftangriffen 1943 auch in Berlin schwere Zerstörungen anrichtete, zog Magda Goebbels mit ihren Kindern endgültig in das Landhaus am Bogensee. Hier lebten sie im Gegensatz zur Stadtbevölkerung geradezu paradiesisch: die Kinder werden morgens im Ponywagen nach Wandlitz in die Schule gebracht und spielen nachmittags mit zahlreichen Haustieren in den Wiesen und am See. Die umliegende Landwirtschaft garantierte einen gedeckten Tisch, von dem die hungernde Bevölkerung nur träumen konnte
Im Frühjahr 1945 standen die Russen an der Oder und die Zivilbevölkerung der Ostgebiete flüchtete vor ihnen in Richtung Westen. Auch durch Wandlitz zogen die endlosen Kolonnen der Flüchtlinge. Sie berichteten von den Greueltaten der Russen. Auch die Goebbelskinder schnappten einiges davon auf. Goebbels beschloss daraufhin, den Haushalt in sein Domizil nach Schwanenwerder zu verlegen. Das Landhaus am Bogensee blieb sich selbst überlassen. Wenig später siedelten die Goebbels in den Bunker der Reichskanzlei nach Berlin über, wo sie sich und ihre Kinder umbrachten.
Was aus dem zurück gelassenen Hab und Gut im Haus am See wurde, konnte nie geklärt werden. Man hörte von Plünderungen, aber niemand weiß genaues. Nach dem Krieg wurden die Gebäude zunächst als Lazarett genutzt und im März 1946 der FDJ übergeben. Aber das ist eine andere Geschichte!
Quellen: Fotos:
Anja Klabunde "Magda Goebbels" Elke Harris
Stefan Berkholz "Das Liebesnest des Dr. Goebbels"
Wikipedia
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