Samstag, 16. Dezember 2017

Himmel über Berlin

Der Himmel über Berlin ist begrenzt. Häuserfluchten machen ihn eckig. Riesige Straßenbäume versperren die Sicht. In unserem Garten im 2. Hinterhof sehe ich einen Ausschnitt vom Himmel. Vielleicht 100m². 



Mal grau, mal blau, mal Wolken, mal Sterne. Im Sommer zeigt sich für eine kurze Zeit die Sonne über den Dächern. Wie das Wetter dort draußen  im Rest der Stadt ist, kann man nicht genau sagen. Der Hof hat sein eigenes Klima. Oft glaube ich, es sei kühl und die Sonne ließe sich nicht blicken. Ganz erstaunt bin ich dann, wenn ich über den ersten Hinterhof auf die Straße trete und mich Sonnenschein und milde Temperaturen umfangen. Oder ich glaube es sei ein milder, regenfreier Tag und auf der Straße stürmt und nieselt es. Das Klima im 2. Hinterhof spielt mir Streiche. Die Hauswände und die Bäume im Hof schlucken das Wetter. 


Die Begrenztheit meines Stadthimmels hat mir den Mauerpark zu meinem liebsten Ort werden lassen. Bis 1989 war hier Niemandsland. Der Antifaschistische Schutzwall, der ein ganzes Volk eingesperrt hielt, sorgte für Leere und Einsamkeit. Auf der Westseite stiegen die Besucher auf eine Aussichtsplattform und starten ungläubig auf den Osten. Wie ein Spielzeugland lag er vor ihnen, wenige Menschen gingen die Straßen entlang, kleine Autos wie aus vergangener Zeit konnte man in der Ferne sehen. Unheimlich waren die Grenzsoldaten, die mit ihren Ferngläsern jede Bewegung im Westen und an der Mauer unablässig beobachteten. Die Anwohner im Osten fühlten sich von den Westlern beobachtet wie Tiere im Zoo.

Auf den ersten Blick hat dieser früher zwischen der inneren und der äußeren Mauer gelegene Grenzstreifen auch heute nach der Grenzöffnung nichts attraktives an sich. Eine große Rasenfläche, die von den vielen Menschen, die hier am Wochenende chillen, grillen, spielen und Musik machen, und von den tobenden Hunden vernarbt ist. Es gibt nichts Schönes hier: keine besonderen Pflanzen, kein Spielgerät (außer einem lieblos betonierten Basketballcourt und einer Art gemauertem Amphitheater). Sonst: nur Weite. Und das macht wohl das besondere dieses Ortes aus: hier öffnet sich der Himmel über Berlin. Man kann weit schauen und vom Hang des Emil-Jahn-Sportparks hat man einen wunderbaren Blick über den Wedding. 

Etwa 200m breit und 500m lang ist der erhaltene Grenzstreifen. Anders als im restlichen Prenzl Berg sind keine Verkaufsstände, keine Sitzgelegenheiten vorhanden. Wer hierher kommt muss sich selbst genug sein oder etwas mitbringen. Nur Menschen und Hunde gibt es hier viele.

Das bietet den Kreativen den Raum und das Publikum, um sich selbst darzustellen. Ganze Bandausrüstungen mit Schlagzeug, Verstärker, Gitarren und Mikrophonen werden hier insbesondere am Wochenende angeschleppt. 

Vom Bob-Dylan-Jünger mit Klampfe bis zu Heavy Metall, Punk, Synthie, Reggae und Undefinierbarem ist hier alles möglich. Es wurden auch schon Entfesselungskünstler, Jongleure und Feuerschlucker gesichtet. 

Sonntags ab 15 Uhr ist das Amphitheater bis auf den letzten Platz besetzt: It´s Karaoke Time! Hier übersteigt oft der Mut das Talent. Aber das Publikum amüsiert sich, klatscht begeistert und singt mit.




Auf der Wiese tummeln sich Großfamilien und Gruppen von jungen Leuten. Es wird gegrillt was das Zeug hält und die mitgebrachten Campingtische biegen sich unter der Last von allerlei Leckereien.




In der Woche geht es ruhiger zu. Bei schlechterem Wetter gar sind die Hundebesitzer mir ihren 
Fellnasen unter sich. Das ist für mich und meinen vierbeinigen Begleiter die schönste Zeit: 


nur wir und der weite Himmel über uns!



Mittwoch, 18. Oktober 2017

Lost Places- Die FDJ-Kaderschmiede der DDR

Neulich habe ich über das Landhaus der Familie Goebbels berichtet. Mein heutiger Post nimmt den Faden wieder auf und führt in die jüngere Vergangenheit nach dem Krieg.

Das Anwesen der Goebbels wurde nach dem Krieg zunächst von den Alliierten als Lazarett genutzt und wurde 1946 von den Sowjets an die DDR Regierung zur Nutzung übergeben. Fortan wurde die Villa mit den Nebengebäuden als Ausbildungsstätte für die Freie Deutsche Jugend genutzt.

Zu Beginn der 50er Jahre wurde für das Areal ein neues groß angelegtes Ausbildungszentrum geplant und von den Sowjets maßgeblich finanziert. Im sozialistischen Zuckerbäckerstil wurde eine beinahe schlossartige Anlage errichtet. Mit Sichtachse über eine Parkanlage hinweg stehen sich zwei repräsentative Gebäude gegenüber. Mit Portus, Säulen, Terrasse und Treppenaufgang ist das Lektionsgebäude selbst im verfallenen Zustand noch imposant. Links und rechts davon sind mehrstöckige Internatsgebäude. Man fühlt sich ein wenig an Prachtbauten des 18. und 19. Jahrhunderts erinnert.



Mit der Fertigstellung war die Jugendhochschule Wilhelm Pieck der FDJ war gegründet. 500 Studenten aus allen Teilen Deutschlands, sogar aus Westdeutschland (Kader des Sozialistischen Studentenverbandes und des Spartakusbundes), und später aus sozialistischen "Bruderländern" wurden bis zur Wende hier ausgebildet. Es war ein absolutes Privileg, hier studieren zu dürfen. Die Anlage wurde bewacht und wie ein militärischer Geheimstützpunkt behandelt. Als die Institution noch das Gelände mit Leben füllte, muss man sich schon besonders gefühlt haben, hier dazu zu gehören. Gelehrt wurden die marxistisch-leninistische Philosophie, die ebendiese Politik und die Grundlagen der Weltrevolution. Die Inneneinrichtung war insbesondere für DDR Verhältnisse exklusiv. Im großen Hörsaal konnten die ausländischen Studenten mithilfe der modernsten Simultanübersetzungsanlage den Lehren des wissenschaftlichen Sozialismus lauschen. So modern war die Anlage, dass beim Staatsbesuch des westdeutschen Kanzlers Helmut Schmidt im Jahr 1981 hier die internationale Pressekonferenz abgehalten wurde. Das einzige Mal, dass dieses Heiligtum seine Pforten nach außen geöffnet hat.

Bis zur Wende ging die Jugendhochschule ihrer Bestimmung nach. Anschließend gab es Versuche einer Nachnutzung. Der Internationale Bund für Sozialarbeit mietete das Anwesen an. Nach nur 2 Jahren musste man wegen der hohen Erhaltungs- und Renovierungskosten des zum Teil denkmalgeschützten Ensembles aufgeben. Seitdem verfallen die Bauten und werden lediglich gegen Vandalismus geschützt. Eigentlich ist die Anlage ein Sahnestück und man wundert sich, dass hier noch keine Investoren das Potential erkannt haben. Doch haben sie. etwa 200 Interessenten haben Angebote abgegeben. Aber: zum Gesamtensemble gehört auch das ehemalige Landhaus von Goebbels. Bei einem Verkauf kann höchstens für 10 Jahre eine Nutzungsbindung festgelegt werden. Und da liegt der Hund begraben: kann man sich vor getarnten Nazis schützen, die nach 10 Jahren eine Heldengedenkstätte aus dem Anwesen machen? Nein, nicht wirklich. Und deswegen hat die Stadt Berlin sich entschlossen, das Areal nicht zu verkaufen. Man versucht nun, dass Gelände als Erbpachtgrundstück langfristig zu vermieten. Wir werden sehen!


Montag, 16. Oktober 2017

Lost Places- Das Landhaus der Familie Goebbels am Bogensee

Wenn man durch Berlin geht (oder fährt) begibt man sich automatisch auf eine Reise in die Vergangenheit. Die deutsche Geschichte vom Kaiserreich, über die erste deutsche Republik, die Nazizeit, den Krieg und die geteilte Stadt bis zur Wiedervereinigung hat Spuren hinterlassen, die mehr oder manchmal auch weniger überall aufzuspüren sind. Nicht nur in der Stadt selbst, sondern auch im Umland erinnern Gebäude und Plätze an rühmliche und weniger rühmliche Zeiten. Seien es die UFA Studios in Potsdam, in denen die großen Nazi-Schinken gefilmt wurden, der Teufelsberg mit seinen allierten Ausspäh- und Abhöranlagen, die Villa am Wannsee, in der die Nationalsozialisten die Deportation und Vernichtung aller Juden beschlossen haben, die Gedenkstätte im ehemaligen Stasiuntersuchungsgefängnis in Hohenschönhausen und viele andere denkwürdige Orte. Manche Orte jedoch liegen im Verborgenen. Schamhaft vor der Öffentlichkeit geschützt. Verschwiegen.

Einen solchen Ort habe ich heute aufgesucht: den Landsitz der Familie Goebbels. Die Villa Bogensee. Im Jahr 1936 schenkte die Stadt Berlin dem Reichspropagandaminister den Bogensee, eine Blockhütte  und ein Areal von nahezu 500 Ha im Ostteil des See zu seinem 36. Geburtstag. Der Minister, bekannter Förderer der schönen Künste und Film(sternchen)liebhaber, nutzte wohl dieses abgelegene Häuschen als Liebesnest. Er verlegte seinen Arbeitsplatz immer häufiger in das Blockhaus am See. So schrieb er am 3.November 1936 in sein Tagebuch: "Es ist ganz still und ruhig hier." "Ich arbeite, lese, schreibe, und ich bin glücklich. Rings um mich Wald, welkes Laub, Nebel, Regen. Ein Idyll in der Einsamkeit." Aber auch andere Gedanken nehmen in der Stille Form an. Nur drei Tage später schreibt er: "Diese Judenpest muß ausradiert werden. Davon darf nichts übrig bleiben." Solche Bösartigkeiten rauben ihm aber offensichtlich nicht den Schlaf: "Zeitig ins Bett. Es schläft sich so herrlich hier draußen im Walde."

Heute ist das Blockhaus verfallen und der Dachstuhl 2015 an Christi Himmelfahrt ausgebrannt.

Die Liebeshütte

Bald schon war dem Minister die Hütte zu klein geworden und nicht repräsentativ genug. Bis 1939 ließ er unter der Federführung von Hugo Constantin Bartels (erstaunlicherweise kein Parteigenosse sondern ein Sozialdemokrat) nach einem Entwurf von Heinrich Schweitzer die Villa Bogensee errichten. Sie sollte Treffpunkt für Stars und Künstler werden und wurde entsprechend großzügig angelegt: 30 Privaträume, 40 Diensträume und ein Kinosaal sowie Repräsentationsräumlichkeiten und Wirtschaftsgebäude. Alle Gebäude stehen noch heute verborgen im tiefen Wald am See. Kein Hinweisschild lässt ahnen, welche Geschichte dieser Ort hat. Alle Wege entlang des Sees sind mit umgestürzten Bäumen unpassierbar gemacht. Verbotsschilder halten Eindringlinge vom Ufer fern. Die Gebäude sind dem Verfall preisgegeben und dennoch erstaunlich gut erhalten. Sogar die großen, versenkbaren Terrassenfenster, auf die Goebbels besonders stolz gewesen sein soll, sind noch zu sehen. 

Versenkbare Terrassenfenster
Alle Filmgrößen der damaligen Zeit fanden sich am Bogensee ein. Der Ort wurde zur festen Größe im gesellschaftlichen Leben der Kulturschaffenden. Schon bald avancierte das Anwesen zum Landsitz der Familie Goebbels. Magda zog mit 6 Kindern ein und viele Fotos und Filme zeugen von einem lebhaften, fröhlichen Familienleben im Haus am See. Was die Öffentlichkeit nicht wusste: das Ehepaar lebte schon seit langem getrennt. Nach vielen  Eskapaden und einer ernsthaften Beziehung Goebbels zu der Schauspielerin Lida Baarova wurde vertraglich die Trennung und die Aufrechterhaltung der glücklichen Fassade in der Öffentlichkeit vereinbart. Hitler persönlich hatte den Kompromiss ausgehandelt und den Vertrag neben den Eheleuten unterschrieben! Nach Ausbruch des Krieges näherte sich das Ehepaar wieder an. Aber schon nach wenigen Monaten tröstete sich Goebbels wieder mit anderen Frauen am Bogensee, während seine Frau sich von Geburten und  diversen Erkrankungen erholte. Als der Krieg mit massiven Luftangriffen 1943 auch in Berlin schwere Zerstörungen anrichtete, zog Magda Goebbels mit ihren Kindern endgültig in das Landhaus am Bogensee. Hier lebten sie im Gegensatz zur Stadtbevölkerung geradezu paradiesisch: die Kinder werden morgens im Ponywagen nach Wandlitz in die Schule gebracht und spielen nachmittags mit zahlreichen Haustieren in den Wiesen und am See. Die umliegende Landwirtschaft garantierte einen gedeckten Tisch, von dem die hungernde Bevölkerung nur träumen konnte

. Von der tödlichen Wirklichkeit in der Stadt und an der Front hören und sehen sie nichts. Dennoch wird 1944 nicht weit vom Wohnhaus ein Bunker zum Schutz der Familie und der Bediensteten und Gäste gebaut.







Im Frühjahr 1945 standen die Russen an  der Oder und die Zivilbevölkerung der Ostgebiete flüchtete vor ihnen in Richtung Westen. Auch durch Wandlitz zogen die endlosen Kolonnen der Flüchtlinge. Sie berichteten von den Greueltaten der Russen. Auch die Goebbelskinder schnappten einiges davon auf. Goebbels beschloss daraufhin, den Haushalt in sein Domizil nach Schwanenwerder zu verlegen. Das Landhaus am Bogensee blieb sich selbst überlassen. Wenig später siedelten die Goebbels in den Bunker der Reichskanzlei nach Berlin über, wo sie sich und ihre Kinder umbrachten.

Was aus dem zurück gelassenen Hab und Gut im Haus am See wurde, konnte nie geklärt werden. Man hörte von Plünderungen, aber niemand weiß genaues. Nach dem Krieg wurden die Gebäude zunächst als Lazarett genutzt und im März 1946 der FDJ übergeben. Aber das ist eine andere Geschichte!

Quellen:                                                                                                                         Fotos:
Anja Klabunde "Magda Goebbels"                                                                               Elke Harris
Stefan Berkholz "Das Liebesnest des Dr. Goebbels"
Wikipedia


Mittwoch, 2. August 2017

Ein romantischer Ort mit Geschichte- die Pfaueninsel


Die Pfaueninsel in der Havel, nur 22km vom Zentrum Berlins entfernt, hat im Laufe der Zeit verschiedene Nutzungen erfahren. Zunächst bezeichnenderweise Kaninchenwerder genannt, ließ der Große Kurfürst im 17. Jahrhundert auf der Insel Kaninchen züchten, was zu seiner Zeit ein einträgliches Geschäft war. Später wurde die Insel dem Alchimisten und Glasmacher Kunkel überschrieben, der den Auftrag des Kurfürsten hatte, Glas zu produzieren und wissenschaftliche Experimente durchzuführen. Nachdem 1689 die Glashütte und das Labor niederbrannten, wurde die Insel 100 Jahre sich selbst überlassen. 

Die Nähe zu Potsdam, dem Sitz des Königshauses, war schließlich der  Grund für eine Wiederbelebung der Nutzung im 18. Jahrhundert. Der junge Kronprinz Wilhelm II. hatte sich in die Tochter des Hoftrompeters, Wilhelmine Enke, verliebt und ließ sich mit seiner Auserwählten zur Pfaueninsel übersetzen, um dort romantische Stunden mit der erst 13jährigen zu verbringen. Sie wurde seine lebenslange Mätresse und Mutter von 4 seiner Kinder. Als Gräfin Lichtenberg war sie in die gehobene Gesellschaft eingeführt und entwickelte sich zur Förderin von Kunst und Wissenschaft. In Ihrem Salon in Charlottenburg trafen sich die Geistesgrößen der Zeit. An der Entwicklung der Pfaueninsel als Naturrefugium, Rückzugsort und romantisch gestaltete Landschaft hatte sie maßgeblichen Anteil. Es mutet einen heute befremdlich an, das Schloss, die Meierei und andere auf der Insanel befindliche Gebäude zu sehen (sie sind alle im Original erhalten, weil keine Kriegszerstörungen stattfanden). Sie sehen wie Filmkulissen aus. Kein Wunder: laut damaliger Planung sollte das Schloss ein verfallenes römisches Landhaus und die Meierei die Ruine einer gotischen Kathedrale darstellen. Bewusst wurde auf einen einheitlichen Baustil verzichtet.

Das Schloss

Die Meierei
Nach dem Tode Wilhelm II. fiel die Gräfin in Ungnade und der Nachfolger Wilhelm III. und seine Frau Luise nutzten die Örtlichkeit nur für gelegentliche Sommeraufent-halte. Luise fühlte sich in der „Pfauen-Behausung“ mit den „Wänden aus Papier“ nicht wohl. Schon früh hatte der König seine Vorliebe für exotische Tiere und Pflanzen entdeckt. Nach Luises frühem Tod reifte nach einem Besuch in Paris und des dortigen Jardin des Plantes der Plan, ähnliches in der Heimat aufzubauen. Ab 1821 begann die grundsätzliche Umgestaltung der Insel unter dem Gartenbaumeister Lenné. Neben der botanischen Gartenanlage wurden zahlreiche Menagerien für Tiere aus aller Herren Länder gebaut. Unter den am Ende 847 Tieren waren Löwen, Bären, Büffel, Kängurus und zahlreiche heimische und exotische Vögel (natürlich auch Pfauen). Ein wunderschönes botanisches Schauhaus brannte leider 1880 nieder und wurde nicht wieder errichtet. Heute wird dessen Standort nur noch durch Fundamentreste und Kübelpflanzen repräsentiert. Von den vielen Tieren und Menagen sind nur noch ein Büffelteich und eine Voliere mit Pfauen zu sehen. Die noch vorhandenen botanischen Anlagen wie auch die Gebäude gehören gemeinsam mit den Schlössern und Parks in Potsdam zum Weltkulturerbe. Ein Besuch ist erholsam und abwechslungsreich. Nach einer kurzen Fahrt mit der Fähre taucht man in die schattige Stille unter großen Bäumen ein und kann auf gepflegten Wegen, meist entlang des Ufers, den Rosengarten, die Bauten und Brunnen sowie die Büffelweide und die Vogelvolieren besichtigen oder die Stille auf einer Parkbank mit Aussicht genießen. Eine schlichte, aber gute, Restauration auf einer beschaulichen Lichtung lädt zu Kaffee und Kuchen oder einem herzhaften Imbiss (z.B. lecker Wildschweinbratwurst!) ein.

Donnerstag, 13. April 2017

Berlin, Du bist so wunderbar Berlin- die etwas anderen Reisefuehrer

Berlin ist eine grossartige Stadt. Schon immer war ich hier gern zu Besuch, habe natuerlich die Standardsehenswuerdigkeiten alle aufgesucht. Und das Brandenburger Tor, Unter den Linden, den Kudamm usw. besuche ich noch heute immer wieder gern.

Nun wohne ich seit ueber einem Jahr in dieser weltoffenen, lebendigen Stadt und entdecke immer mehr interessante Orte. Und es kommen immer neue dazu. Wie gerade das Haus der amerikanischen Buergerrechtlerin Rosa Parks oder die Street Art Installation THE HOUSE.

Als Besucher erfährt man kaum von all den faszinierenden Orten, die Berlin in petto hat. Aber, Hilfe ist in Sicht: es gibt bereits einige "Reisefuehrer", die einen anderen Fokus haben als die traditionellen Marcó Polos, Meridians usw. und die vor allem den Wissensdurst der Neugierigen und Geschichts- und Geschichteninteressierten stillen. Fuenf empfehlenswerte Berlinfuehrer stelle ich hier vor:

111 Orte in Berlin, die Geschichte erzählen

Auf 230 Seiten werden Orte in Berlin und ihre besonderen Geschichten beschrieben. Aus lange vergangenen Tagen, aber auch aus wilden Zeiten und politisch unruhigen Tagen. Da findet das Sound, in dem David Bowie in den wilden 70ern verkehrte, ebenso Erwähnung, wie ein Coup der westdeutschen Zeitung Tempo, die eine Ausgabe mit "staatsfeindlicher" Satire in die damals streng abgeschottete DDR schmuggelte.  Ungewöhnliche Geschichten von Prominenten wie Louis Armstrong, Henny Porten, Jessie Owens, Lilli Marlen, vom Geschäftsmann Bolle und ueberraschendes von der Bötzowbrauerei bis zur Mulackritze, von Hitlers Nero Befehl ueber Berlin und 5 Wochen Anarchie im Lenné Dreieck bis hin zum nationalsozialistischen Puff mit staatlich bezahlten parteitreu gesinnten Dirnen, von eingemauerten Geliebten und Meisterdieben und vielem anderem ist zu lesen. Stadtpläne weisen die beschriebenen Orte aus und machen das "Nachwandern" bzw. Aufsuchen der Orte möglich.

Ich bin kein Berliner- ein Reisefuehrer fuer faule Touristen

Wer sich Berlin und den Eigenarten der Berliner humorvoll nähern möchte, der findet in Wladimir Kaminers Reisefuehrer lustige Anekdoten aus dem Stadtleben und ueber den Homo Berlinensis ebenso wie Informationen ueber Ausflugsziele, Gaststätten, Mode, Touristen, Kriminalität uvm. Die Eigenarten der beruechtigten Prenzlauer Muetter, der Berliner Tuerken und der russischen Diaspora bringt der Autor in der ihm eigenen komödiantischen Art auf den Punkt. Selbst wenn man Berlin nicht besuchen möchte, ist dieses 250 Seiten starke Buch eine amuesante Lektuere (vielleicht im Urlaub auf Malle :-D).

Amerikaner in Berlin

Die USA und Berlin haben eine ganz besondere Beziehung zueinander. Und das nicht erst seit dem Besuch von John F. Kennedy oder Barack Obama. In diesem historischen Reisefuehrer werden viele US-amerikanische Persönlichkeiten und die Orte an denen sie gewirkt haben, vorgestellt. Das geht vom ersten Gesandten am Preussischen Hof bis zum heute in Berlin lebenden Schriftsteller Jonathan Franzen. Wer wusste schon, dass Buffalo Bill in Berlin seine Wild West Show aufgefuehrt hat. Oder das W.E.B. Du Bois, der beruehmte Initiator der Buergerrechtsbewegung von 1892 bis 1894 an der Humboldtuniversität studierte. Wer kennt schon Mildred Harnack, die an der Friedrich-Wilhelms-Universität lehrte, sich in der Widerstandsgruppe "Die rote Kapelle" engagierte und deswegen die einzige Amerikanerin wurde, die von den Nazis hingerichtet wurde? Und wer weiss, dass einer der bekanntesten Schlagersänger in der DDR der Amerikaner Dean Reed, der "rote Elvis" war? Viel mehr erstaunliche Geschichten sind in diesem Reisefuehrer zusammengetragen. Vom gleichen Verlag Ch.Links sind noch weitere historische Reisefuehrer zu haben: "Das geteilte Berlin 1945-1990" und "Das politische Berlin".

Berlin mit Risiken und Nebenwirkungen

Meine neueste Errungenschaft ist dieses Buch von Dr. Mark Benecke. Ja, genau der Benecke! Der abgedrehte, zu tätowierte Kriminalbiologe aus dem Fernsehen. Er fuehrt uns in die Geschichte und Bedeutung der Pharmaindustrie in Berlin ein. Dabei fördert er erstaunliche Fakten zu Tage, nämlich z.B. was Chrystal Meth mit Schokolade zu tun hat, ueber die Entdeckung von Bio-Viagra oder wie der Meister der Fehlschläge einen bis heute erfolgreichen Arzneimittelkonzern aufbaute.  Natuerlich duerfen spektakuläre Kriminalfälle auch nicht fehlen.Die Bedeutung der Apotheken in der Medizin, lange bevor Ärzte die Halbgötter in Weiss wurden, wird deutlich gemacht. Wer weiss schon, dass Theodor Fontane in Berlin zum Apothekenhelfer ausgebildet wurde und zuletzt im Krankenhaus Bethanien in Kreuzberg tätig war, wo man noch heute seine Originalapotheke bewundern kann. Uebrigens nicht die einzige im urspruenglichen Zustand erhaltene Apotheke aus dem 19. Jhd, auf die Benecke in seinem Fuehrer hinweist. Benecke hat auf unterhaltsame Weise viel Kurioses und Wissenswertes zusammengetragen.

Welche Farbe hat Berlin

von David Wagner. Der Autor erzählt von seinen Wanderungen durch Berlin und seinem Auge entgehen auch die kleinen und belanglosen Dinge nicht. Ein bischen wie Forrest Gump wandert er ziellos kreuz und quer durch die Strassen bis hin zum Stadtrand und kommentiert kritisch das Gesehene und die Veränderungen im Stadtbild. Das Buch richtet sich eher an Menschen, die Berlin in Ruhe, abseits von den Touristenrouten kennenlernen oder nur darueber lesen möchten. Ein paar Mal habe ich die Spur des Autors fuer eine Weile aufgenommen und war erstaunt, wie viel ich ohne die Lektuere uebersehen hätte.

Noch eine Empfehlung fuer diejenigen, die nicht selbst die Spur aufnehmen möchten, sondern gefuehrt werden möchten: Bellevue-Berlin bietet Themenfuehrungen durch die Kunst-, Kultur- und Architekturgeschichte in Berlin und Potsdam an. Zu finden unter: http://www.bellevue-berlin.de/



Freitag, 17. März 2017

Neukölln- nur in schön

Neukölln ist das Schreckgespenst fuer Xenophobiker. Tatsächlich sind viele Strassenzuege fuer Urdeutsche fremdartig anzusehen. Da reihen sich Gemuesestande in loser Folge aneinander wie bunte Ketten, Wettbueros wechseln sich mit Dönerbuden (natuerlich halal) und Internetcafés ab. In den Schaufenstern sieht man schon mal Schaufensterpuppen mit Kopftuch oder Hijab.

Aber es gibt auch noch Spuren des einstigen Städtchens, dass fuer die Berliner um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jhd ein beliebtes Ausflugsziel war. Damals hiess dieser Stadtteil noch Rixdorf. Es gab Ausflugslokale, Restaurationen aber auch Tanzlokale und Vergnuegungsetablissements. Den Gassenhauer "In Rixdorf ist Musicke" kennt man noch heute.
Fuer die hart arbeitenden Grossstadtbewohner waren die Angebote willkommene Abwechslung und Entspannung, aber wie das immer so ist: Wein, Weib und Gesang zogen auch lichtscheues Gesindel, Kleinkriminelle und Prostituierte an. So entwickelte sich ueber die Jahre der schlechte Ruf von Rixdorf als Spelunken- und Rotlichtviertel. Die Umbenennung 1912 in Neukölln sollte das Image wieder verbessern! Geholfen hat es nicht wirklich. Heute gibt es erste Stimmen, die den schlechten Ruf von Neukölln als Ausländerghetto und Kriminellenhochburg durch eine Rueckbenennung in Rixdorf retten wollen 😃

Die folgende Collage zeigt einige der heute noch zu sehenden Kleinode aus alten Zeiten wie z.B. den Körner Park, die Villa Rixdorf und die alte Schmiede.


Mittwoch, 8. Februar 2017

Prenzlauer Berg ist nicht gleich Prenzlauer Berg


Wann immer ich sage, dass ich in Prenzlauer Berg wohne bekomme ich anerkennende, ja sogar bewundernde Reaktionen. Jeder verbindet diesen Stadtteil offensichtlich mit Prominenz, hohen Preisen und Exklusivität. Ja, Heike Makatsch, Benno Fuehrmann, Till Lindemann, Anna Maria Muehe und andere habe ich auch schon hier gesehen. Aber: nichts mit Glamour! Mit Parka und Pudelmuetze, Jeans und TShirt habe ich sie kaum erkannt. Mondän ist in diesem Stadtteil nichts, jeder trägt und macht was er will, auf berlinische Art. Das kann schön aber auch ziemlich hässlich sein. Chic (und freundlich) sucht man hier vergebens. Was ist nun Prenzlauer Berg?



Der Ortsteil Prenzlauer Berg ist Teil des Bezirks Pankow im Nordosten Berlins und grenzt im Westen und Südwesten an den Bezirk Mitte, im Süden an Friedrichshain-Kreuzberg, im Osten an Lichtenberg und im Norden an die Ortsteile Wedding, Weissensee und Pankow. Er hat etwas mehr als 160.000 Einwohner und ist damit etwa so gross wie Ludwigshafen oder Heidelberg. Der Ausländeranteil der Bewohner liegt mit 15,8% knapp unter dem Berliner Durchschnitt (16,1%). Abweichend sind aber die Anteile der Nationalitäten: die größte Gruppe bilden Franzosen, gefolgt von Italienern, Amerikanern, Briten, Spaniern und Dänen. Tuerken machen hier lediglich 0,3 % aus. Nach meiner Einschätzung sind das die Späti Betreiber. Diese rund um die Uhr geöffneten Mini Märkte gibt es an jeder Strassenecke.
Rund um die Uhr einkaufen, hier Sonntagabend um 21 Uhr. Alle im Umkreis von 500m!

Allgemein wird mit Prenzlauer Berg der Bereich in der Nähe Friedrichshain/Mitte in Verbindung gebracht. Bötzow-, Kollwitz-, Wins-, Helmholtzkiez. Das sind die Viertel die gemeinhin als Szeneviertel gelten. Ende des 18. Jahrhunderts wurden hier, ausserhalb der Stadt Berlin, riesige Viertel mit Mietskasernen fuer die Arbeiter aus den Giessereien, Brauereien und anderen Fabriken gebaut. Das heute grösste erhaltene Gruenderzeitviertel war damals eine ärmliche Arbeitersiedlung in der die Menschen dicht auf dicht elendig wohnten. Zu DDR Zeiten wurde der Bezirk sträflich vernachlässigt und dem Verfall preisgegeben. Er entwickelte sich zum Zufluchtsort fuer die Unangepassten. Kuenstler, Musiker, Poeten, Punker, alle die mit der DDR Regierung nicht auf Wellenschlag waren, konnten hier in ihrem Mikrokosmos ungestört leben. Die Häuser sahen noch bei Grenzöffnung aus, als sei der Krieg gerade vorueber.  Heute ist fast alles saniert, restauriert oder neugebaut. Nur noch wenige Ruinen zeugen von den alten Zeiten.



Jenseits der alten Stadtviertel wurden nach dem Krieg Wohnquartiere im sozialistischen Klassizismus (Zuckerbäckerstil) und später in den 60er und 70er Jahren Plattenbauten errichtet, die noch heute gut erhalten und vielfach die einzigen bezahlbaren Wohnquartiere sind. An den Rändern wuchsen die neuen Plattenbauten mit alten, dörflichen und kleinstädtischen Siedlungen zusammen. So ist Prenzlauer Berg heute also eine Vielfalt unterschiedlicher Baustile und Lebensumfelder. 



 

Donnerstag, 19. Januar 2017

Eine bedrueckende Entdeckung- das Buergeramt Prenzlauer Berg

Bei meinen ersten Spaziergängen in meinem neuen Wohnviertel (irritierenderweise nennt der Berliner die Wohnquartiere "Kiez", was fuer uns in Norddeutschland ein Rotlichtviertel ist) weckte ein altes Ziegelbauensemble meine Aufmerksamkeit. Es war das ehemalige Armenhospital an der Prenzlauer Allee. Heute ist das Buergeramt darin untergebracht.


1886-8996 wurden die Gebäude durch den Architekten und Stadtbaurat Blankenstein errichtet. Sie sind nahezu in ihrem Originalzustand erhalten. Viele Jahrzehnte hindurch wurde nur das Nötigste erhalten und so beeindrucken die Häuser heute mit dem Berlin so eigenen morbiden Charme.

Wenn man so alte Gemäuer sieht, fragt man sich ja oft, wie das Leben dort wohl gewesen ist, als die Gebäude ihrer urspruenglichen Bestimmung gedient haben. Ich selbst neige dann häufig wider besseren Wissens zu einer romantischen Verklärung. Offensichtlich haben sich aber hinsichtlich dieses alten Kranken- und Siechenheimes einige Menschen tiefere Gedanken gemacht und die Geschichte des Ortes recherchiert. Wie wurde wohl mit geistig und psychisch Kranken und Siechen in einer Zeit umgegangen, als der Sozialstaat mit der Sozialversicherung und Wohlfahrtseinrichtungen gerade erst aus der Taufe gehoben und noch von wilhelminischen Idealen geprägt war? An einem der Gebäude wurden Tafeln mit Fragen angebracht, die einem den Atem stocken lassen. Auch ohne Antwort spiegeln die Fragen eine grausame Wirklichkeit wieder.


Diese Fragen lassen ein Bild im Kopf entstehen, das mit Romantik nichts zu tun hat. Im Nu erinnerte ich mich an Filme ueber psychiatrische Anstalten, die ich gesehen hatte. "Shutter Island" mit Leonardo di Caprio oder "Einer flog uebers Kuckucksnest" mit Jack Nicholson wurden in meiner Erinnerung lebendig. Beeindruckend, mit wie wenig das Kopfkino in Gang gesetzt werden kann. Ein absolut sehenswerter Platz fuer Berlinbesucher.

Adresse: Fröbelstr. 17/ Prenzlauer Allee